Im Quo vadis? interessieren wir uns für die Berufung jedes Menschen: Wie gelingt mein Leben und was hat das mit Gott zu tun? Dafür lassen wir uns von Ordensleuten inspirieren, die erzählen, wie sie ihre Lebensform gefunden haben: Berufungsg'schichten. In Kooperation mit dem Canisiuswerk. Sr. Elisabeth Muche sa (*1990) legte vor zwei Jahren ihre ersten Gelübte bei der Kongregation der Helferinnen ab. Sie schreibt von der Entscheidung zum Gebet und der Erfahrung gemeinsamen Menschseins:
Vor meinem Noviziatseintritt wurde ich gebeten für eine Studierendenzeitschrift meine Berufungsgeschichte aufzuschreiben. Meine spontane Reaktion, die ich dann auch zu Papier brachte: Schreibt doch selber eure Berufungsgeschichte auf.
Ohne diese Gewissheit könnte ich meinen Weg im Orden nicht gehen:
Wir alle sind berufen. Auch ich.
Fastenzeit 2006.
Mit 16 Jahren schrieb ich zum ersten Mal auf ein Stück Papier: „Nach dem Abi studiere ich Theologie und gehe ins Kloster.“ Mein Begriff von „Kloster“ waren drei Benediktinermönche in der Ettaler Filiale in dem kleinen Ort Wechselburg in Mittelsachsen – bei denen ich ganz sicher nicht eintreten wollte.
Der Zettel entstand bei einem Einkehrwochenende der Bistumsjugend: Hier trafen wir uns, die Handvoll Katholiken (3-4%) der sächsischen Diaspora. Es war geschützter Raum, ein eigener Freundeskreis, eine Form des gegenseitigen Verständnisses, die ich woanders nicht fand. Natürlich ist das kein sehr modernes Verständnis einer Kirche, die doch viel durchlässiger für die sie umgebende Wirklichkeit sein sollte. Und trotzdem bleibt auch im Blick auf mein heutiges Ordensleben dieser Eindruck: Es hat sich mir ein Raum geöffnet, ein miteinander Glauben, in dem ich da sein darf. Und das empfinde ich nach wie vor als ein Privileg.
Advent 2012.
Ich studierte dann doch lieber Psychologie. In Leipzig – „da musst du hin, da gibt’s eine tolle Studentengemeinde.“ Also lernte ich Gemeinschaft noch einmal neu kennen. Und die ignatianischen Exerzitien. – Und meine Zweifel.
Eher aus Peerpressure hatte ich mich für die Exerzitien im Alltag im Advent angemeldet. Gleichzeitig arbeitete ich als Hilfskraft in einem neurowissenschaftlichen Institut. Bei der Einführung zu den Exerzitien wurde uns erklärt, wie das funktioniert mit dem Beten, mit Gott reden, Du zu Du, … „wie mit einem Freund.“ Ich stellte erschreckt fest: Das glaube ich nicht. Beten ist nichts weiter als ein neurophysiologischer Vorgang. Alles lässt sich irgendwie erklären – auch warum ich bete und meine, dass da jemand antwortet.
Dieses Du mit Fragezeichen begleitet mich:
Mal als Ringen mit der eigenen Klugheit, mal als Furcht, eben doch allein zu sein. Erst im Noviziat, der ersten Ausbildungszeit im Orden, ging ich einen Schritt weiter: „Ich glaube“, das ist nicht der Abschluss einer Wirklichkeitsanalyse, sondern eine Entscheidung. Meine freie Entscheidung. Die das Leben ändert – weil sie mich beten lehrt.
So auch damals im Advent – ich entschied mich einfach trotzdem zu beten. Es war mein Erstkontakt mit ignatianischer Spiritualität, von der unser Orden geprägt ist, und der Sprung in ein Abenteuer, in dem ich immer wieder neu lerne, die Dinge aus der Hand zu geben. Vor allem die Dinge, die ich meine allzu gut zu verstehen.
November 2018.
Einige Jahre später saß ich mit Hang Wan (Name geändert) im Wartezimmer einer Wiener Ordination: wir beide mit zwei Smartphones, Google Maps und Google Translate bewaffnet auf Reisen durch das ländliche China. Als Teil der Ordensausbildung verbrachte ich einige Monate in Wien und arbeite in einer Einrichtung für Betroffene von Menschenhandel. Ich fühlte mich wohl, vor dem Termin in der Ordination hatte ich jedoch Respekt gehabt – eine Zeit im Wartezimmer kann lang werden, wenn man keine gemeinsame Vokabel – in welcher Sprache auch immer - hat. Ich wurde eines Besseren belehrt – selten habe ich mich so gut über eine mir fremde Kultur unterhalten, wie an diesem Vormittag. Für mich bleibt dabei der Eindruck, den ich immer wieder durch Erfahrung nähren durfte: Unser Menschsein ist die beste Sprache – sie stimmt immer, lügt nie, beugt jedem Missverständnis vor – zum Beispiel, dass irgendjemand auf diesem Planeten ein bisschen weniger Mensch wäre als ich – und erzählt so viel mehr als unsere Worte hergeben. Diese Sprache hat grenzenlose Ausdrucksformen und ist doch klar und deutlich. Darin liegt für mich diese große Hoffnung, die uns Helferinnen trägt: dass in Gott jede Person ganz gewollt, ganz Mensch, ganz gehalten ist.
September 2021.
Heute lebe ich in einer unserer Gemeinschaften in Leipzig und arbeite in der Cityseelsorge. Hier treibt mich dieses geteilte Mensch-Sein an, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, für die der Begriff Gott keinen Sinn ergibt, die aber sehr wohl vom Ursprung ihres Lebens berichten können. Und nicht selten von ihrer Berufung.
Eine Mitschwester von Sr. Elisabeth Muche treffen Sie regelmäßig bei uns im Quo vadis?: Sr. Maria Schütz sa steht an Mittoch Nachmittagen zum Gespräch zur Verfügungen, leitet Schulworkshops und ist Referentin in unserem spirituellen Programm.
Weitere Berufungsg'schichten von Ordensmännern -und frauen unterschiedlichster Gemeinschaften finden Sie hier auf unserer Website:
Sebastian Ortner, Jesuit
Regina Köhler, Congregatio Jesu
Ewald Nathanael Donhoffer, Prämonstratenser
Katharina Ruth, Kleine Schwestern Jesu
Moritz Windegger, Franziskaner
Katharina Leitner, Benediktiner
Michal Klučka, Salesianer Don Bosco
Gertraud Harb, Kreuzschwestern
Helena Fürst, Elisabethinen
Pilippus Mayr, Benediktiner
Erika Maria Radner, Karmelitin
Lukas Agerer, Zisterzienser
Christina Blätterbinder, Steyler Missionarin
Tobias Martin Sieberichs, Dominikaner